Wie auditieren Sie eine verantwortungsvolle Lieferkette?
Ein Interview mit Lead-Auditorin Jelena Vidaković
Unsere Expertinnen und Experten bringen Kunden mit spezifischem Branchenwissen und langjähriger Erfahrung voran. Mit höchster Sorgfalt prüfen sie dabei die Einhaltung weltweit geltender sozialer Standards. Jelena Vidaković ist eine von ihnen: Seit acht Jahren arbeitet sie bei TÜV Rheinland und ist als Regional Business Field Managerin verantwortlichfür die Regionen Zentral- und Osteuropa. Als Lead-Auditorin kennt sie sich mit allen gängigen Sozialstandards aus und überprüft Lieferketten gemäß amfori BSCI (Business Social Compliance Initiative), ICS (Initiative for Compliance and Sustainability), PSCI (Pharmaceutical Supply Chain Initiative), SMETA (Sedex Members Ethical Trade Audit), QMS (Quality Management System) und EMS (Environmental Management System). Darüber hinaus unterstützt sie Unternehmen bei der Erstellung eines eigenen Code of Conduct.
Frau Vidaković, wie sieht Ihre tägliche Arbeit aus?
Sie gliedert sich in zwei zentrale Aufgaben: Erstens koordiniere ich von meinem Büro in Belgrad aus unser Audit-Geschäft in Zentral- und Osteuropa. Zweitens führe ich in der gesamten Region Supply Chain Audits durch – ich bin also viel unterwegs.
Welche Unternehmen zählen zu Ihren Kunden?
Hauptsächlich sind das Unternehmen aus der Textilbranche, aber auch einige aus der Metall- und Lebensmittelindustrie. Hier auf dem Balkan sind wir unter anderem aktiv in Slowenien, Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Mazedonien, Montenegro und Albanien. Und gerade in ehemaligen Sowjetländern wie der Ukraine, Georgien und Kasachstan zählen unsere Experten zu den wenigen Experten, die Sozialaudits durchführen können. Das ist einer der großen Vorteile der weltweiten Lieferfähigkeit (global coverage) von TÜV Rheinland.
Was sind die häufigsten Probleme, mit denen Sie bei Ihren Audits konfrontiert sind?
Sie betreffen die Gesundheit und die Sicherheit von Mitarbeitern. Insbesondere der Brandschutz ist in Unternehmen nicht immer gewährleistet. Meist sind sich Firmen der gesetzlichen Auflagen nicht bewusst, beispielsweise der Notwendigkeit von korrekt platzierten Notausgängen, unverstellten Fluchtwegen sowie ausreichend vorhandenen und leicht erreichbaren Feuerlöschern. Abhängig von der Gesetzeslage des jeweiligen Landes ist zudem in vielen Fällen kein eindeutiger Nachweis von Arbeitszeit und Anwesenheit vorgeschrieben. Dies führt zu unbezahlten Überstunden und Nachtarbeit oder allgemein zu Arbeitszeiten, die nicht mit sozialen Standards vereinbar sind.
Wie komplex sind die Social Audits?
Die Komplexität der Schemes, also der Checklisten, hängt vom Unternehmen und des jeweils angewandten Standards ab. Allgemein lässt sich sagen: Die meisten Sozialstandards sind wesentlich detaillierter als ISO-Normen. Wir müssen Fragebögen präzise ausfüllen, viele Einzelpunkte durchgehen, Interviews führen, nachforschen und Cross-Checkings machen. Bei größeren Firmen arbeiten wir im Team, ein Audit dauert dabei für gewöhnlich mehrere Tage.
Wie stellen Sie sicher, dass Ihre Schemes angemessen und aktuell sind?
Für jedes Scheme, sei es ICS, amfori BSCI oder EMS, haben wir Manager, die sich inhaltlich auf diese spezialisieren und uns Auditoren über jedes Update durch die zugehörigen Initiativen informieren. Außerdem geben sie etwaige Änderungen unserer internen Prozesse an uns weiter – denn für jedes Scheme haben wir eigene Standard Operation Procedures, also eigene standardisierte Vorgehensweisen.
Die meisten Schwachstellen finde ich auf meinem Rundgang.
Jelena VidakovićWie gehen Sie bei einem Audit vor?
Bei einem angekündigten Audit spreche ich zuerst mit dem Management und vereinbare einen Rundgang durch den Betrieb. Ist das Audit unangekündigt, geht es sofort in die Fabrik. Dort verschaffe ich mir zunächst einen allgemeinen Eindruck. Danach folgen neben detaillierten Checks auch viele Gespräche mit den Mitarbeitern. Häufig reagiert die Belegschaft nervös, weswegen ich ihnen auf Augenhöhe begegne und offen und ehrlich mit ihnen rede: Es geht schließlich im Wesentlichen um die Verbesserung ihrer Situation.
Wie erkennen Sie dabei Abweichungen von definierten Standards?
Die meisten Schwachstellen finde ich auf meinem Rundgang. Ein Beispiel von einem meinerAudits in einer Textilfabrik: Eine Nähmaschine mit rotierenden Elementen war nicht abgedeckt – eine eindeutige Gefahrenquelle. Ich recherchiere dann Vorschriften für diese Art Maschine und wie diese umgesetzt werden müssen, etwa nach amfori BSCI-Standard. Dazu zählt auch, die Mitarbeiter über diesen Standard zu informieren. Wenn die Belegschaft diesen nicht kennt, weise ich darauf hin und ich kann dadurch Schlüsse über das allgemeine Sicherheitslevel eines Unternehmens ziehen. In Textilfabriken sind auch die verwendeten Chemikalien ein häufiger Schwachpunkt: Sind sie korrektetikettiert? Ist der Umgang mit ihnen unbedenklich?
Wie funktioniert das Zusammenspiel von geschäftlichem Erfolg und Verantwortung?
Wir bieten Auditierungen nach internationalen Standards, die von öffentlichen Organisationen anerkannt sind, und gehen dabei strenger vor als staatliche Prüfer und Wettbewerber. So ermöglichen wir, Audit für Audit, nicht nur eine schrittweise Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Wir identifizieren und checken auch tieferliegende Zusammenhänge und Schwachpunkte, die sich den Augen des Managements im Arbeitsalltag entziehen. Mögliche Geschäftspartner können anhand unserer Reporte sehen, ob ein Unternehmen als Zulieferer in nachhaltigen Wirtschaftsabläufen infrage kommt. Dadurch zahlt sich die Übernahme von Verantwortung auch aus langfristiger, wirtschaftlicher Sicht aus.
Was mich persönlich motiviert? Die Welt zu einem sozialeren Ort zu machen.
Jelena VidakovićWoher haben die Auditoren von TÜV Rheinland ihre Expertise?
Ich bleibe stets neugierig, bin in unzählige Reports unterschiedlichster Branchen involviert und stehe mit meinen Kollegen in engem Kontakt. Zudem gibt es regelmäßig einen obligatorischen Erfahrungsaustausch. Darüber hinaus kenne ich die üblichen Vorgehensweisen anderer Prüfunternehmen. Wir haben in diesem Gebiet sehr hohe Ansprüche an das Personal und beauftragen ausschließlich Auditoren mit langjähriger Branchenerfahrung, technischem Wissen und umfangreicher Kenntnis der lokalen Sprache und Gesetze. Außerdem sind unsere Auditoren für alle gängigen Standards zugelassen und bei der Asscociation of Professional Social Compliance Auditors (APSCA) registriert.
Was persönlich motiviert Sie an Ihrer Arbeit?
Die Vision, die Arbeitsbedingungen auf der ganzen Welt zu verbessern. So trage ich zur Sicherheit im Arbeitsleben bei. Das macht die Welt zu einem sozialeren Ort. Jedes meiner Audits sorgte bislang für gezielte Verbesserungen in den jeweiligen Firmen.