Smartphone, Smartwatch und Smart Home – ob unser Leben durch die zahlreichen Alltagshelfer mit denen wir uns umgeben wirklich smarter und einfacher geworden ist, lässt sich nur schwer bewerten. Anders ist es in jedem Fall! In den vergangenen Jahren hat sich am Stand der Technik einiges getan und viele Produkte aus dem Audio/Video, Informations- und Kommunikationssektor (AV-IT) verbinden inzwischen mehrere Funktionen. Ein Telefon kann heute auch eine Kamera sein, unser Auto überwacht unsere Fahrt mit Kameras und Sensoren und durch die wachsende Leistungsfähigkeit unserer Computer können immer mehr Multitaskinganwendungen durchgeführt werden.
Neue Technik bringt auch neue Risiken, die bei einer Sicherheitsbewertung berücksichtigt werden sollten. Höchste Zeit also für einen aktuellen, international anerkannten Standard, findet unsere Expertin Corinna Reget.
Die digitale Transformation hat auch weitreichende Auswirkungen auf AV-IT Produkte. Sehr viele Funktionen werden in einem Gerät miteinander verbunden. Wearables wie Smart-Watches sind ein gutes Beispiel dafür und es ist davon auszugehen, dass deren Komplexität noch deutlich zunehmen wird.
Corinna RegetFrau Reget, gerade im Bereich technischer Produkte gibt es ja eine rasante Weiterentwicklung. Was bedeutet das für die Produktsicherheit?
„Rasant“ ist das richtige Wort. Das erkennen wir vor allem daran, dass der Lebenszyklus der Produkte immer kürzer wird. Das neueste Smartphone ist in zwei Jahren schon wieder veraltet und wird durch die nächste Version ersetzt. Diese extrem schnelle Technologisierung ist nicht nur auf private Konsumgüter beschränkt, auch im industriellen Bereich entwickeln sich Server, Computer und Software stetig weiter. Kunden und Hersteller haben sich längst an diesen Rhythmus gewöhnt.
Wenn es um die Produktsicherheit geht, besteht die Herausforderung darin, immer die aktuellsten Anforderungen an diese Geräte vorzuhalten. Drohnen sind ein sehr gutes Beispiel, um dieses Problem zu veranschaulichen, denn es gibt noch keine europäische Norm, die alle Sicherheitsaspekte dieses speziellen Produkts abdeckt. Dazu gibt es bislang nur eine Richtlinie, die die grundlegenden Anforderungen und Schutzziele festlegt.
Und warum reicht die Richtlinie nicht aus?
Grundsätzlich gibt es bei der Markteinführung von Produkten zwei Aspekte. Auf der regulativen Seite steht der Gesetzgeber, der rechtliche Anforderungen an einen Produkttyp stellt und diese in Richtlinien festlegt. Im Bereich der AV-IT Produkte wird zum Beispiel häufig die Niederspannungsrichtlinie herangezogen, welche die gesetzlichen Anforderungen an ein Produkt adressiert. Schon wenn es darum geht zu ermitteln, welche Richtlinie auf die Eigenschaften und die Beschaffenheit eines bestimmten Produkts zutrifft, sind die Hersteller übrigens weitestgehend auf sich gestellt. Sie versuchen nun bei der Konstruktion des Produktes alle Punkte der Richtlinie zu erfüllen, damit sie anschließend die Konformität erklären und das Produkt in Verkehr bringen können. Die Richtlinie gibt häufig jedoch keinen Aufschluss darüber, welche Designmaßnahmen ergriffen werden können, um ihr zu entsprechen. Sie sagt nur aus, welche Schutzziele eingehalten werden müssen. Für Hersteller ist also oft nicht klar „wie“ sie der Richtlinie entsprechen können. Dafür gibt es die Normen.
Fehlt eine Norm für ein bestimmtes Produkt, wie es aktuell bei den Drohnen der Fall ist, hat der Hersteller eigentlich nicht viele Möglichkeiten die Konformität einwandfrei zu belegen. In diesen Fällen kann er natürlich auf ein Prüfhaus oder eine Benannte Stelle zugehen, sodass ein entsprechendes Prüfprogramm entwickelt wird. Das ist zum Glück nicht allzu häufig der Fall. Für viele Europäische Richtlinien gibt es harmonisierte Normen, die Herstellern sehr gute Anhaltspunkte geben, wie sie ihre Produkte konform mit geltenden Richtlinien designen können. Falls Unsicherheit zur Anwendbarkeit einer Norm besteht, kann in jedem Falle ein Prüfhaus, wie TÜV Rheinland, hinzugezogen werden, um Klarheit zu schaffen.
Die Internationale Elektrotechnische Kommission (IEC) hat ja kürzlich eine neue Norm herausgebracht. Wie wichtig ist sie?
Die neue internationale Norm IEC 62368-1 sollte bei Herstellern von AV-IT Produkten ganz weit oben auf der Liste der Prioritäten stehen. Für uns ist die Einführung ein wichtiger Schritt, um die Produktsicherheit dem aktuellen Stand der Technik anzupassen. Für Hersteller ist die Umstellung natürlich mit gewissen Herausforderungen und Aufwänden verbunden. Denn leider kann man nicht pauschal sagen, dass bestehende Konformitätserklärungen weiter gelten. Gegebenenfalls muss nachgerüstet werden.
Wie können Hersteller das herausfinden?
Dazu müssen individuelle Konzepte erstellt werden, die dem jeweiligen Produkt gerecht werden. Über Updateprüfungen, in denen beispielsweise die verwendeten sicherheitsrelevanten Komponenten, Betriebsspannungen und weitere Punkte geprüft werden, können Abweichungen aufgedeckt und an den Hersteller übermittelt werden. Neben den nötigen Nachbesserungen, kann so auch festgestellt werden, welche Dokumente für die Prüfung benötigt werden. Dabei sollten Hersteller außerdem berücksichtigen, dass die IEC 62368-1 nicht in allen Ländern gilt. In einigen Ländern gelten beispielsweise noch die Vorgängerversionen der Norm. Das zeigt, dass Hersteller sich genau mit den Anforderungen ihres Ziellandes auseinandersetzen müssen, wenn sie globale Vertriebsziele verfolgen. Aus unserer Sicht deckt die IEC 62368-1 aber sehr viele Regionen ab und ist ein großer Fortschritt für die Akzeptanz von AV-IT Produkten auf internationalen Märkten. Schlimmstenfalls müssen Hersteller Nachweise nach beiden Normen vorlegen können, selbstverständlich unter Beachtung nationaler Abweichungen. Das bedeutet höhere Kosten und einen Mehraufwand.
Sie haben gesagt, dass die IEC 62368-1 ein wichtiger Schritt für die Produktsicherheit ist. Warum?
Es ist nun einmal so, dass Normen irgendwann nicht mehr den Stand der Technik abbilden. Die Produktwelt ist so vielfältig geworden und verbindet verschiedene Technologien, sodass Produkte inzwischen alle möglichen Features, von eingebauten LEDs über Funkschnittstellen bis hin zu leistungsfähigen USB-Schnittstellen aufweisen. Der neue Standard geht flexibler auf Neuentwicklungen ein und hinterfragt viel gezielter, welche Risiken von dem Produkt selbst oder seinen Energiequellen ausgehen, um diese zu verringern. Der grundlegende Unterschied zu den Vorgängerversionen ist also der risikobasierte Ansatz der Norm. In der Branche sprechen wir dabei von Hazard Based Safety Engineering (HBSE). Schon bei der Entwicklung neuer Produkte sollte eine der ersten Fragen sein: „Welches Risiko könnte für den Nutzer entstehen?“ Wie diese Risiken geprüft werden können, überlegen sich dann die Experten in den Normungsgremien und Prüflaboren, wenn es um die Erstellung von Normen und Prüfprogrammen geht. Dabei steht die Sicherheit des Verbrauchers immer im Vordergrund. Aber wir sehen auch andere Vorteile in der IEC 62368-1.
Welche Vorteile sind das?
Eine IEC-Norm ist ein internationaler Standard, mit deren Anwendung Hersteller Zugang zu vielen Märkten erreichen. Daher ist es generell ein Vorteil, sein Produkt an internationalen Standards auszurichten. Einzelne, abweichende Anforderungen in kleinen Märkten können in der Regel auch gut erfüllt werden, wenn das Produkt schon mal dem internationalen Standard entspricht. Außerdem sind wir froh, dass die IEC 62368-1 eine große Bandbreite von Produkten abdeckt und sowohl für Audio/Video-Produkte als auch für Informations- und Kommunikationstechnik anwendbar ist.
Als verantwortliche Produktmanagerin im Geschäftsfeld Electrical Deutschland trägt Corinna Reget dazu bei, die Sicherheit von innovativen Technologien zu prüfen und zu zertifizieren und Herstellern dadurch den Zugang zu internationalen Wachstumsmärkten zu ermöglichen. Für den Produktbereich Audio/Video, Informations- und Kommunikationstechnik sowie Unmanned Aircraft Systems versucht sie neue Themen wie Nachhaltigkeit voranzutreiben, die einen Mehrwert für Gesellschaft und Umwelt bieten. Sie engagiert sich aktiv in der Gremienarbeit auf nationaler und europäischer Ebene, besonders als Leiterin des DIN-Normenausschusses „NA 131-01-02 AA Arbeitsausschuss Technische Systeme für Drohnen“. Dadurch steht sie in regelmäßigem Austausch mit verschiedensten Unternehmen und kennt die Bedürfnisse, die sich aus den einzelnen Geschäftsmodellen – vom Start-Up bis zum Konzern – ergeben. Ihren MBA hat sie an der CBS International Business School abgelegt. |
Und in der Praxis? Sie haben ja nun schon seit einigen Monaten mit der Umstellung zu tun. Was sind die Herausforderungen für Hersteller?
Bei den Updateprüfungen finden wir häufig Komponenten, die nicht über entsprechende Nachweise verfügen oder es wurden Produktmodifikationen durchgeführt, für die ebenfalls ergänzende Nachweise nötig sind. Um Abweichungen im Prüfbericht und aufwendige Nachprüfungen zu vermeiden, empfehlen wir den Herstellern schon im Vorfeld eine Auseinandersetzung mit der neuen Norm. Sie sollten ihre technische Dokumentation aktualisieren und nach den normativen Erfordernissen zusammenstellen. Dazu zählen, neben den erwähnten Nachweisen für Komponenten, zum Beispiel auch Stromlaufpläne und einiges mehr. Wenn von bestehenden Zertifizierungen auch die CE-Kennzeichnung abhängig ist, empfehlen wir auf jeden Fall, mit einem Prüfhaus in Kontakt zu treten.
Was bedeutet es für Hersteller, wenn Sie die IEC 62368-1 nicht erfüllen?
Dann ist ihr Produkt eben nicht konform mit der aktuellen Norm und entspricht so gesehen nicht dem Stand der Technik. Dadurch kann es sein, dass aktuelle CE-Kennzeichnungen nicht mehr aufrechterhalten werden können und der Hersteller sich nicht sicher sein kann, ob seine technische Dokumentation den Anforderungen bei einer Prüfung durch Aufsichtsbehörden standhalten würde. Jeder Hersteller muss das juristische Risiko für sich selbst abwägen. Eine unabhängige Prüfung gibt ihm jedenfalls die Sicherheit, dass sein Produkt mit den aktuellen normativen Anforderungen übereinstimmt.
TÜV Rheinland bietet die Möglichkeit einer Produktzertifizierung nach der IEC 62368-1. Was ist der Vorteil für Hersteller und was wird genau geprüft?
Gerade im Zusammenhang mit der neuen IEC 62368-1 ermöglicht eine CB-Zertifizierung natürlich einen schnellen Zugang zu internationalen Märkten. Das ist schon mal ein großer Vorteil. Über unseren Market Access Service können wir dem Kunden einen guten Überblick über die geltenden Regularien in seinen Zielländern bieten und aufzeigen, welche Dokumentationen jeweils benötigt werden. Da wir ein weltweites Netzwerk akkreditierter Labore haben, können wir die Dienstleistung praktischerweise direkt am Produktionsort anbieten – in Deutschland prüfen und zertifizieren wir beispielsweise in Köln und Nürnberg. Welche Prüfungen und Zertifizierungen im Einzelfall sinnvoll sind, überlegen wir natürlich gerne im gemeinsamen Gespräch und bieten dem Kunden maßgeschneiderte Lösungen.
Das Schlagwort „Nachhaltigkeit“ taucht im Zusammenhang mit AV-IT Produkten auch immer häufiger auf. Wie passt das mit solchen Produkten überhaupt zusammen?
Nachhaltigkeit macht auch vor AV-IT Produkten nicht halt, daher wollen wir das Thema in den kommenden Jahren stärker unterstützen. In diesem Produktbereich geht es um Themen wie Energieeffizienz oder den Carbon-Footprint. Da kommen die Hersteller aktuell mit ganz individuellen Fragen auf uns zu. Wir werden sehen, wie sich das weiterentwickelt. Die Novellierung der europäischen Ökodesign-Richtlinie hat dem Thema auch von Seiten des Gesetzgebers ein stärkeres Gewicht verliehen und natürlich stehen Hersteller unter Druck, da Einkäufer, Verbraucher und Medien immer größeren Wert auf Nachhaltigkeit legen.