Natürlich wollen Eltern nur das Beste für Ihre Kinder und neben der Ernährung und dem richtigen Spielzeug steht der Schlaf im Vordergrund. Auf zahlreichen Websites finden sich Hinweise, worauf Eltern beim Kauf von Kindermatratzen achten sollten. Hersteller und Händler sind also gut beraten, die Qualität und Sicherheit Ihrer Produkte kenntlich zu machen, wenn sie sich gegen den Wettbewerb durchsetzen wollen.
Die europäischen Norm EN 16890 bietet den Marktakteuren seit ein paar Jahren die Möglichkeit, das weltweit anerkannte GS-Zeichen (Geprüfte Sicherheit) für ihre Kindermatratzen zu erhalten. Warum das freiwillige Prüfzeichen inzwischen ein großer Wettbewerbsvorteil sein kann und wie Hersteller und Händler die Zertifizierung erreichen können, erfahren Sie im Interview mit Felix Scharnagl dem Leiter des Labors für Möbelprüfung von TÜV Rheinland in Nürnberg.
Herr Scharnagl, mit dem GS-Zeichen zertifizieren wir auch Produkte wie Schutzkleidung oder elektrische Werkzeuge. Wo liegen die Sicherheitsrisiken bei einer Matratze?
Man muss bedenken, dass Kinder-Produkte ganz anderen Sicherheitsanforderungen genügen müssen als Produkte für Erwachsene. Wenn wir Spielzeug als Beispiel nehmen, wird uns natürlich sofort klar, dass dieses keine scharfen Kanten haben darf oder kleinste Teile, die sich ablösen und verschluckt werden könnten – und so stellen auch Matratzen gewisse Sicherheitsrisiken für Kleinkinder dar. Daher kann das GS-Zeichen auch nicht für alle Matratzen vergeben werden, sondern nur für Kindermatratzen.
Und welche spezifischen Risiken sind das?
Der Anstoß für weitreichende sicherheitstechnische Betrachtungen war die Problematik des Einsinkens von Kindern im Fall von zu weichen Matratzen. Sinkt der Kopf eines Kleinkindes zu weit in die Matratze ein, kann sich z.B. das ausgeatmete CO2 in der entstandenen Kuhle sammeln, sodass das Kind schlimmstenfalls an der eigenen Atemluft erstickt. Die Festigkeit der Matratze ist daher der wichtigste Faktor bei der Zertifizierung.
Weitere mechanische Risiken kommen hinzu. Wenn sie unbeaufsichtigt sind, können Kinder beispielsweise an Schlaufen hängen bleiben oder sich bei einer abweichenden Matratzengröße zwischen Matratze und Kinderbett einklemmen. Das Produkt muss auch so solide sein, dass das Kind nicht an das Füllmaterial gelangen kann. Relativ harte, einfache, aber dafür geprüfte und zertifizierte Liegeflächen bieten nach neuesten Erkenntnissen die größte Sicherheit.
Inwiefern kann die Norm all diesen Gefahren vorbeugen?
Die Norm DIN EN 16890 verfolgt das Ziel, mögliche Gesundheitsrisiken für Kinder zu minimieren. Die Bedeutung dieser Norm kann man auch daran erkennen, dass sie auf der Grundlage eines Mandats der EU-Kommission erstellt und in den Anhang zur Produktsicherheitsrichtlinie aufgenommen wurde. Hersteller und Händler sollten sich auf jeden Fall an diese Anforderung halten.
Sie gibt den Produzenten ganz konkrete sicherheitstechnische Vorgaben und Prüfverfahren an die Hand, denen Sie bei der Produktentwicklung folgen können. Durch die Norm ist beispielsweise der Kugeltest hinzugekommen, der die Gefahr der oben bereits genannten Rückatmung minimieren soll. Dabei wird eine quadratische Schablone auf der zu testende Matratze platziert und eine Kugel mit genormter Masse und Umfang wird in eine Aussparung innerhalb der Schablone gelegt. Wenn die Kugel soweit einsinkt, dass sie die Schablone berührt, ist die Prüfung leider nicht bestanden – der Kinderkopf würde bedenklich weit einsinken. Der Test wird übrigens nach einer Dauerprüfung wiederholt, um sicherzugehen, dass die Matratze ihre Festigkeit auch nach langer Nutzung nicht verliert.
Das hat bereits einiges Bewirkt, den viele Händler verzichten inzwischen auf eine extra Wattierung auf ihren Matratzen. Das Engagement der EU Kommission und die Berichterstattung der Medien sorgt natürlich auch dafür, dass sich das Risikobewusstsein der Eltern verschärfen wird. Eltern, die um die Bedeutung der Matratzen-Festigkeit wissen, werden eher eine harte Matratze kaufen und vielleicht auch weitere sicherheitsrelevante Informationen abfragen.
Eltern wissen inzwischen, wie wichtig die Festigkeit von Kindermatratzen ist. Daher werden sie zunehmend Wert auf Sicherheit und Qualität legen.
Felix ScharnaglSie sagten, durch die Mandatierung der Norm seien Hersteller sowieso angehalten die Anforderungen zu erfüllen. Wofür braucht es dann noch die GS-Zertifizierung?
Zunächst dient es den Endverbraucher*innen als Orientierung. Das Prüfzeichen ist in ihren Augen natürlich sehr vertrauenswürdig, weil es weltweit anerkannt und bekannt ist. Und gerade weil die Marktdurchdringung des GS-Zeichens bei Kindermatratzen noch nicht so groß ist, kann es für Hersteller und Händler ein gutes Alleinstellungsmerkmal sein und Eltern ansprechen, die beim Kauf besonders auf Qualität achten. Außerdem würde ich Herstellern und Händlern empfehlen die Konkurrenz im Auge zu behalten. Wenn man am Ende der einzige Produzent ohne GS-Zertifizierung ist, könnte sich das nachteilig auswirken.
Zudem denke ich, dass die Produzenten auch ein eigenes Interesse daran haben, die Sicherheit ihrer Produkte wirklich zu gewährleisten. Da das GS-Zeichen bereits im Produktsicherheitsgesetz geregelt ist, umfasst es eigentlich nichts anderes als die Einhaltung der ohnehin geltenden gesetzlichen Vorschriften. Aber die Zertifizierung erfolgt ja durch einen akkreditierten Prüf- und Zertifizierungsdienstleister, bei dem die Anforderungen dann auch wirklich nachgewiesen werden müssen. Die Qualität unterliegt dabei also der Kontrolle durch einen unabhängigen Dritten.
Neben der reinen Produktprüfung beinhaltet die Zertifizierung auch eine Fertigungsstätteninspektion und jährliche Überwachungen. So kann sichergestellt werden, dass die Qualität in jeder Marge auch über Jahre hinweg gleichbleibend ist. Die Zertifizierung muss nach fünf Jahren erneuert werden. Für Händler oder Hersteller, die nur noch die Endfertigung machen und auf die Arbeit von Zulieferern angewiesen sind, bietet dieses Verfahren zusätzliche Sicherheit. Denn wir prüfen beispielsweise auch die Wareneingangskontrolle und die Dokumentation der Zulieferer.
Wenn man auf das steigende Qualitätsbewusstsein der Verbraucher*innen schaut: Gehen Sie also davon aus, dass sich die Nachfrage ändern wird?
Bei anderen Produktgruppen sehen wir ja bereits, dass Eltern sehr sensibel sind, was die Qualität und Sicherheit von Kinderprodukten angeht. Die Emission von Schadstoffen war vor Jahren beispielsweise noch kein Thema für Verbraucher*innen. Heute wird bei Lebensmittelkontaktmaterialien oder Spielzeug jedoch sehr genau darauf geachtet – bei Matratzen ist es ähnlich. Das Internet bietet Eltern natürlich eine gute Informationsquelle und Vergleichsmöglichkeit. Während sie früher eher bei den weichen und wattierten Matratzen zugegriffen haben, weil sie von ihren eigenen Komfort-Vorstellungen ausgegangen sind, könnten die neuesten Informationen ihr Kaufverhalten schnell ändern.
Für Inverkehrbringer ist noch wichtig zu sagen, dass es momentan noch keine verbindlichen Grenzwerte für die Luftdurchlässigkeit von Kindermatratzen gibt. Wir wissen, dass Hersteller und Händler gerne mit flauschigen Matratzen und besonderer Atmungsaktivität werben. Wer aber darauf spekuliert, dass er die Weichheit seiner Matratzen mit besonderer Atmungsaktivität aufwiegen kann, sollte sich darüber im Klaren sein, dass Atmungsaktivität vor dem Gesetzgeber aktuell kein stichhaltiges Argument darstellt.
Biographie Als Leiter des Labors für Möbelprüfung von TÜV Rheinland in Nürnberg verfügt Felix Scharnagl über eine umfangreiche Expertise mit 17 Jahren Berufserfahrung in der Prüfung und Zertifizierung von Möbeln. Seine aktive Rolle in verschiedenen Gremien, wie dem nationalen und europäischen Normenausschuss für Kindermöbel ermöglicht ihm einen guten Überblick über die Entwicklung gesetzlicher Vorgaben. Zusammen mit seinen Kollegen setzt sich Felix Scharnagl täglich für sichere und gebrauchstaugliche Möbel ein und unterstützt die Hersteller und Händler von Möbel in allen Belangen. Der ausgebildete Holzingenieur ist Vater von drei Kindern. |
Nun einmal ganz praktisch gefragt. Wie können sich Hersteller und Händler den Ablauf der Zertifizierung vorstellen?
Wenn der Hersteller einen geeigneten Prüf- und Zertifizierungsdienstleister gefunden und die Zertifizierung beauftragt hat, sendet er einige Produktmuster und seine Dokumentation an den Dienstleister.
TÜV Rheinland ist ebenfalls für die Zertifizierung akkreditiert, daher können wir aus eigener Erfahrung sprechen. Bei uns durchlaufen die Matratzen neben dem Kugeltest zahlreiche weitere Norm-Prüfungen. Einige Prüfungen haben wir bereits genannt, aber es gibt noch weitere Punkte wie Entflammbarkeit bzw. Brandsicherheit, oder eine Prüfung auf enthaltene Schadstoffe und Schwermetalle. Grundsätzlich gibt es mechanische, chemische und thermische Prüfungen. Auch die Dokumentation wird genauestens unter die Lupe genommen und die Fertigung wird schließlich auch geprüft, um zu schauen ob geeignete Produktionsanlagen vor Ort sind.
Wir bei TÜV Rheinland benötigen für diese Produktprüfung rund 3-4 Wochen, sobald uns alle Unterlagen und die Muster vorliegen. Die Ausstellung des Zertifikats benötigt dann etwa eine weitere Woche. Nach erfolgreicher Prüfung kann der Kunde das GS-Zeichen an seinen Kindermatratzen anbringen. Die Zertifizierung ist zudem jederzeit in unserer Online-Zertifikatsdatenbank Certipedia einzusehen.
Viele Unternehmen sind zur Vergabe des GS-Zeichen akkreditiert. Warum sollten sich Hersteller und Händler für eine Zusammenarbeit mit TÜV Rheinland entscheiden?
Natürlich haben wir umfassende Erfahrung in vielen Bereichen, die für diesen speziellen Produkttyp wichtig sind. Die Prüfungen von Möbeln, ob chemisch oder mechanisch, gehört seit langem zu unserem Produktportfolio, sodass wir auf ein starkes Expertenteam zurückgreifen können. Unsere Mitarbeiter*innen engagieren sich aktiv in der Normungsarbeit auf nationaler und europäischer Ebene, dadurch sind wir gerade bei neuen Normen ein guter Ansprechpartner und immer auf dem Laufenden.
Was ist das GS-Zeichen?
Das GS-Zeichen ist ein nach deutschem Recht gesetzlich geregeltes Gütesiegel für „Geprüfte Sicherheit“. Dieses Prüfzeichen ist weltweit anerkannt. Als Hersteller zeigen Sie damit Ihren Kunden, dass Sie Ihr Produkt freiwillig einem Produkt- und Sicherheitstest durch eine staatlich anerkannte Prüfstelle unterzogen haben.